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Transhumanz


gaeatravel - November 26, 2024 - 0 comments

Die Transhumanz in Spanien

Die Transhumanz ist eine Form der Weidewirtschaft mit jahreszeitlichem Wechsel der Weidegebiete. Es handelt sich hierbei um eine Wanderviehwirtschaft, bei der das Vieh nicht eingestallt ist. Diese Viehtriebe werden mindestens zwei Mal im Jahr durchgeführt, wobei die Herden auf dieser langsamen Wanderung, die Wochen oder sogar Monate dauern kann,  zum Teil 800 km zurücklegen.

Die Transhumanz geht bis auf die Frühgeschichte zurück. Seit Ende des 19. Jahrhunderts ist sie jedoch stark rückläufig und aus manchen Landschaften und Ländern vollständig verschwunden. Sie war vor allem in ariden und semiariden Regionen und in grossen Teilen des Mittelmeerbereiches verbreitet, hierbei vor allem auch in gebirgigen Ländern, deren höhere Regionen im Sommer kühl und feucht, und im Winter kalt und schneebedeckt sind. Die Talregionen, im Gegensatz, sind im Sommer trocken, aber im Winter warm und feucht. Diese klimatischen Unterschiede führen zu unterschiedlichem Graswachstum der Weiden. Das Wachstum der Gräser erreicht in gewissen Gegenden Spitzen im Winter, während es im Sommer praktisch auf Null zurückgeht.

Spanien ist aufgrund seiner natürlichen Gegebenheiten geradezu prädestiniert für die Transhumanz. Im Frühsommer, wenn die weiten Landschaften der Dehesas (lichte Steineichen- und Korkeichenwälder) Zentral- und Südspaniens anfangen auszutrocknen, beginnt die Transhumanz. Das Vieh wird in gebirgige, feuchtere Regionen in den Norden Spaniens getrieben. Diese Jahrtausende alte Praxis der Transhumanz mobilisierte bis Anfang des 20. Jahrhunderts über 4 Millionen Schafe, Ziegen und Rinder. Der Eintritt Spaniens in die Europäische Gemeinschaft 1986 und die damit übernommene EG-Agrarpolitik stand im Gegensatz zur spanischen Wanderwirtschaft mit ihrer überlieferten, extensiven Viehzucht, die keine Überlebenschance hatte.

Die Geschichte der Transhumanz in Spanien ist eng mit dem Fortschreiten der christlichen Rückeroberung des Landes verbunden, wodurch die extensive Viehzucht immer fester organisierte Formen annahm. Ab Mitte des 12. Jahrhunderts gewährten kastilische Könige vor allem Klöstern im gesamten Königreich Weiderechte. Für das 13. Jahrhundert sind in nördlichen Teilen der Iberischen Halbinsel eine Intensivierung der Schafzucht und zahlreiche Weiderechtsvergaben feststellbar. Mit Inbesitznahme grosser Winterweidegebiete im Süden des Landes bildete sich ein neuartiges Organisationssystem heraus – es wurde die sogenannte „Mesta“ gegründet – ein genossenschaftlicher Verband einflussreicher Schafzüchter aus dem Norden. Der König bedachte diese Organisation mit Privilegien und sicherten ihnen Schutz bei diesen Wanderungen zu. Es wurden Wege in Nord-Süd-Richtung ausgebaut, die etwa eine Breite von 75 Metern besassen. Der längste Weg erstreckte sich über 830 Kilometer.

Die Macht der Hirten

Zu den Hauptrouten kamen auch Querverbindungen hinzu, wodurch ein weitverzweigtes Wegenetz aufgebaut wurde, das nicht nur Schäfern, sondern auch Pilgern und Händlern zugute kam. Immer mehr Herden konnten nun diese Wege nutzen, wodurch mehr Schafe gekauft wurden, die wiederum für eine grössere Wollproduktion sorgten. Mitglieder der Mesta durften – ohne Rücksicht auf Handelsverbote – 60 Schafe pro Herde in Märkten an den Wegen verkaufen. Die Hirten nahmen Handelskontakte mit der ansässigen Bevölkerung auf, ebenso wie mit Wanderkaufleuten, und wurden Ende des 15. Jahrhunderts von fast allen Lokalabgaben auf den Wanderungen befreit.

Ungefähr Mitte April verliessen die Herden die südlichen Weiden. Sie wurden unterwegs geschoren und ihre Wolle wurde eingelagert. Man transportiere sie später zu Messen, v.a. nach Medina del Campo und zur Nordküste, wo sie nach Flandern und England verschifft wurden, wodurch diese Städte zu grossem Reichtum kamen. Ständig wiederkehrende Finanzkrisen des Staates führten zu einer engen Abhängigkeit von König und Mesta, weswegen es zu immer neuen Abgabeverpflichtungen kam, denen die Mesta nachkommen musste, aber auch zu immer weitergehenden Privilegien der extensiven Weidewirtschaftsform der Transhumanz gegenüber den intensiven Landbaumethoden.

Zu Beginn des 16. Jahrhunderts wurde das Wanderwegenetz erweitert, wodurch auch die Öffnung eingehegter Weiden für Wanderherden erzwungen wurde. Auch durften Hirten zur Vegrösserung von Weideareal Wald abbrennen. Schliesslich durften sie sogar – ohne Kenntnis der Bodeneigentümer – das Weideland über eine vereinbarte Dauer nutzen. Erst im 18. Jahrhundert begann das Band zwischen den Königen und der Mesta zu zerreissen, doch konnten sie durch Gewährung von Krediten weitere Zugeständnisse erringen. Noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts zeigten Kultivierungsverbote für Ödland und Einhegungsverbote für Ackerland, dass der Charakter der Wanderschafhaltung und der Mesta noch nicht vollständig gebrochen war. Durch die Ausdehnung der Weidegebiete wurden immer mehr Anbauflächen für landwirtschaftliche Produkte geopfert, wodurch es zu Hungersnöten in diesen Gegenden kam. Mit der Neuorganisation des spanischen Finanzsystems, mit der Ertragssteigerung im Bereich der bäuerlichen Lebensmittelproduktion und durch die ortsfeste Viehwirtschaft, verlor die Wanderschafhaltung mehr und mehr an Bedeutung. Die Mesta sah sich auch mit einem weiteren Problem konfrontiert, da das europäische Ausland zu Beginn des 18. Jahrhunderts dazu übergegangen war, aus Spanien importiertes Vieh, v.a. Merinoschafe, zu züchten, um eine eigene Wolle zu produzieren, wodurch die Exporttätigkeit der Mesta eingedämmt wurde. Mitte des 19. Jahrhunderts durfte die Mesta ihren Namen nicht mehr weiterführen und alle Viehhalter des Königreiches wurden in der „Asociación General de Ganaderos del Reino“ zusammengefasst.

Schlüssel zur Erhaltung des spanischen Natur- und Kulturerbes

Über Jahrzehnte waren diese Weidewege, die sogenannten Cañadas Reales, die zum Schluss ein Netz von 120.000 Kilometern ausmachten, in Vergessenheit geraten, weil Massenviehhaltung und Monokulturen die Wanderweidewirtschaft verdrängten.

Heute ist die Transhumanz der Schlüssel zur Erhaltung des spanischen Natur- und Kulturerbes. Es handelt sich bei der Transhumanz um eine optimale Nutzung verschiedenster Landstriche. Je nach Höhe und Breitengrad findet man optimale Weidegründe zu ganz verschiedenen Jahreszeiten vor, so dass das Vieh jeweils die günstigsten Weidebedingungen antrifft und so eine extensive Form der Weidewirtschaft praktiziert.

Seit Jahren engagiert sich die international tätige Umweltstiftung Euronatur für die Erhaltung und Förderung der Transhumanz in Spanien. Die periodische Weidewirtschaft verhindert eine Überweidung, sorgt für eine schonende, natürliche Düngung und beugt einer Verbuschung und damit auch einer zunehmenden Waldbrandgefahr vor. Auf der anderen Seite verhindert sie die Überbenutzung und Erosion der Winterweiden, welche ab dem Frühsommer eine Ruhephase dringend benötigen, um sich eine ausreichende Samenreserve für das kommende Jahr zu bewahren. Dadurch können auch die herbstlichen Regenfälle gut aufgenommen werden. Abgesehen davon brauchen die Schafe und Ziegen, die sich von frischem Gras ernähren, kein Kraftfutter, wodurch der CO2-Fussabrdruck verringert wird. Auch die Ausbreitung von Krankheiten unter den Tieren, die bei intensiv bewirtschaften Betrieben ein grosses Problem darstellt, wird durch die extensive, natürliche Tierhaltung verringert. Ein weiterer positiver Nebeneffekt ist, dass das Netz der Wanderwege eine Vielzahl ökologisch wertvoller Gebiete verbindet. Die Viehtriebwege erfüllen dabei die Funktion grüner Korridore, die geschützte Lebensräume miteinander verbinden und eine Isolierung gefährdeter Tierpopulationen verhindert. Von diesem System profitieren auch die letzten Pardelluchse und Wölfe der Iberischen Halbinsel. Diese Wölfe konnten – trotz der Wachsamkeit der Hirtenhunde – ab und zu eine Schaf erbeuten und ihre Jungen aufziehen. Aber auch für den Menschen selbst ist diese Art von Weidewirtschaft vorteilhaft, fördert sie doch in benachteiligten Gebieten saisonale Arbeitsplätze.

Euronatur ermöglichte, zusammen mit verschiedenen Partnerorganisationen, wie z.B. der Fundación Global Nature, eine Wiederbelebung der Tanshumanz. 1993 begab sich zum ersten Mal wieder eine Herde auf den langen Marsch: 2.600 Merinoschafe, sowie Rinder, Maultiere, Esel und Pferde legten auf der Cañada Real de la Plata eine Strecke von rund 400 km zu den Picos de Europa im Norden Spaniens zurück. Einer der Viehweidewege der Transhumanz führt direkt durch das Herz von Madrid, wobei wichtige Strassenzüge des Zentrums, wie die Calle de Alcalá und der Paseo del Prado für dieses Ereignis für den Verkehr gesperrt werden. Man wollte mit dieser Aktion auf den Wert und die Bedrohung der Transhumanz aufmerksam machen. Seitdem durchqueren jedes Jahr im Oktober grosse Schafherden die Hauptstadt Spaniens, was inzwischen auch zu einer Touristikattraktion geworden ist.

Einen ersten Durchbruch gab es 1995. Die alten Schutzgesetze für die Wanderwege wurden in das moderne spanische Recht aufgenommen: jede Verbauung und anderweitige Nutzung dieser „Cañadas Reales“ ist seitdem wieder verboten. Damit steht – momentan – eine Gesamtfläche der bis zu 100 m breiten Cañadas, nämlich 5.000 km2, unter gesetzlichem Schutz. Streckenweise sind Routen nicht mehr oder nur noch schwer passierbar, da Gebäude, Strassen, aber auch Müll- und Schuttdeponien den Weg versperren.

Viele stark bedrohte Arten wie Wolf, Kaiseradler, Mönchs- und Gänsegeier profitieren von der extensiven Viehweidewirtschaft. Oft folgen sie den Herden auf der Suche nach verirrten oder verendeten Tieren. Es werden Verhandlungen mit Grundbesitzern in der Extremadura und in Castilla-La Mancha geführt, mit dem Ziel, ihre Ländereien als private Schutzgebiete einzurichten. So entstehen jagdfreie Zonen und es werden Massnahmen zur Biotopverbesserung durchgeführt. Auch eröffnen diese Viehtriebwege eine Vielzahl von alternativen Nutzungsmöglichkeiten, die sich mit einer naturverträglichen Landwirtschaft vereinbaren lassen, wie z. B. eine nachhaltig touristische Nutzung dieser Wege durch Wandern, Radtouren oder Reitausflüge. Damit sind diese Wege nicht nur für Viehzüchter, sondern auch für die gesamte lokale Wirtschaft von grossem Wert.

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